Die Wirksamkeit des Saarland-Modells

Achim Domma
4 min readAug 10, 2021

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Am 13. Juli 2021 titelte die Onlineausgabe der Saarbrücker Zeitung “Experten bestätigen Wirkung des Saarland-Modells”. Die Überschrift macht stutzig: Da steht Experte. Nicht Wissenschaftler oder wissenschaftliche Studie. “Experte” ist ein nichtssagender Titel aus dem Vorabendprogramm von RTL. Was soll das also? Der Artikel selbst machte keinen besseren Eindruck, aber lass uns ganz von vorne beginnen …

Ich mag weder die CDU allgemein noch Tobias Hans im Speziellen. Die Liste der Gründe ist lang: Ich habe homo- und transsexuelle Freunde und halte diese — genau so wie Frauen — für vollwertige und gleichberechtigte Menschen. Ich würde gerne noch länger auf diesem Planeten überleben können, bin der Meinung, dass man Menschen nicht mit Absicht ertrinken lässt … Das alles spielt hier aber nur insofern ein Rolle, dass ich offensichtlich voreingenommen bin. Deshalb füge ich möglichst viele Referenzen ein, damit du dir selbst ein Bild machen kannst.

Zurück zum Saarland-Modell: Du erinnerst dich an die Ampel? Weißt du noch, unter welchen Bedingungen sie auf rot geschaltet werden sollte?

Natürlich kannst du dich nicht erinnern. Weil es kein Kriterium dafür gab. Verschiedene lokale Medien waren daran gescheitert, von der Landesregierung konkrete Aussagen zu bekommen. Nach dem Ende des Modells schreibt der SR:

Ein Schwachpunkt des Modells war, dass die Landesregierung es vermieden hatte, klar zu definieren, wann die Ampel auf “rot” springt. Es wurde nur recht schwammig festgelegt, dass es bei einer “drohenden Überlastung des Gesundheitssystems” zurück in den “konsequenten Lockdown” geht.

Ich selbst hatte — vergeblich — versucht, das konkrete Abbruchkriterium für das Saarland-Modell zu erfahren. Dabei bezog ich mich auf folgenden Absatz aus dem Beschluss der MPK vom 22.03. (Seite 5, Punkt 6, Hervorhebung von mir):

Im Rahmen von zeitlich befristeten Modellprojekten können die Länder in einigen ausgewählten Regionen, mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens öffnen, um die Umsetzbarkeit von Öffnungsschritten unter Nutzung eines konsequenten Testregimes zu untersuchen. Zentrale Bedingungen dabei sind lückenlose negative Testergebnisse als Zugangskriterium, IT-gestützte Prozesse zur Kontaktverfolgung und ggf. auch zum Testnachweis, räumliche Abgrenzbarkeit auf der kommunalen Ebene, eine enge Rückkopplung an den Öffentlichen Gesundheitsdienst und klare Abbruchkriterien im Misserfolgsfalle.

Wir könnte nun darüber streiten, ob das Saarland-Modell diese Kriterien jemals erfüllen sollte. Müssen wir aber nicht. Auf meine sehr penetranten Nachfragen bzgl. des Abbruchkriteriums hat man mich irgendwann genervt wissen lassen, dass die MPK gar keine relevante juristische Instanz ist und der Beschluss somit auch in keinster Weise bindend. Ein kurzer Blick in Wikipedia hätte gereicht, um das vorher zu wissen:

Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) ist ein inoffizielles Gremium der Selbstkoordination der 16 deutschen Länder.

Eigentlich will ich so etwas auch gar nicht wissen müssen. Genau so wenig, wie ich diesen Artikel schreiben will. Aber wir haben nun mal eine Pandemie und die falschen Entscheidungsträger:innen gewält. Meine informellen Anfragen via Mail hatte ich mit einer offiziellen IFG-Anfrage via FragDenStaat untermauert. Die Anfrage und die Antwort findest du hier. Die Antwort ist ausschweifend, sagt zum Abbruchkriterium aber ausschließlich:

Stufe 3 (rot) ist gekennzeichnet durch eine “drohende Überlastung des Gesundheitswesens”

Du solltest dir jetzt vorstellen können, wie überrascht und skeptisch ich war, als die Saarbrücker Zeitung behauptete, “Experten” hätten das Saarland-Modell bestätigt.

Die Ergebnisse wurden laut Saarbrücker Zeitung in einer Videokonferenz mit Tobias Hans vorgestellt. Auf meine Bitte an die Staatskanzlei, mir die Studie sowie eine Liste der Experten zukommen zu lassen, hatte man mir eine Pressemitteilung zugesandt. Diese enthielt zwar eine Liste der Experten, aber keine Studie.

Die Studie stellte sich als zwei Berichte heraus, die mir Prof. Dr. Göran Kauermann auf meine Anfrage hin sehr entgegenkommend zukommen lies. Er hat mir bestätigt, dass die Berichte noch nicht öffentlich zugänglich sind, aber bald auf ihrer Seite verfügbar sein sollten. Bisher konnte ich die Berichte dort noch nicht entdecken. Wer sich selbst ein Bild machen will, muss also selbst anfragen.

Wer sich etwas mit dem Wissenschaftsbetrieb auskennt, dürfte es schon gemerkt haben:

Die Ergebnisse waren nicht öffentlich, konnten also nicht von Kollegen überprüft werden. In der Wissenschaft ist das eigentlich üblich. Der Prozess nennt sich “peer review” und kein Artikel landet in einem seriösen Journal, ohne von mehreren “peers” reviewt worden zu sein. Selbstverständlich ist es vollkommen ok, erst mal einen Bericht über eine Auswertung von Daten zu schreiben. Dann sollte Herr Hans das aber auch so kommunizieren und nicht suggerieren, es hätte eine saubere wissenschaftliche Analyse geben.

Aber was steht denn nun in dem Bericht?

Der Bericht sagt vorwiegend, dass mehr Schnelltests mehr symptomfreie Infizierte finden. Und dass das gut ist. Das ist wenig überraschend, wurde aber vermutlich auch nie von irgendjemandem bezweifelt. Der Bereicht enthält auch ein paar Abschätzungen über den absoluten Effekt der Tests, die sich mir aber nicht erschließen. Dieses Thema konnte ich noch nicht abschließend klären. Viel wichtiger ist aber:

Der Bericht beschäftigt sich ausschließlich mit Tests. Das Saarland-Modell war ein Paket von Maßnahmen, allen voran weitreichende Öffnungen. Davon ist im Bericht absolut keine Rede.

Was also unter dem Strich bleibt, ist ein nicht öffentlicher Bericht ohne “peer review”, der bestätigt, dass man mit Schnelltests symptomlose Infizierte finden kann. Basierend darauf klopft Tobias Hans sich selbst auf die Schulter und die Saarbrücker Zeitung titelt “Experten bestätigen Wirkung des Saarland-Modells”.

Basierend auf obigen Erfahrungen ist mir jetzt zumindest klar, warum wir als Gesellschaft die Pandemie nicht in den Griff bekommen. Ich drücke dir die Daumem. Für die nächste Welle. Und den nächsten Lockdown.

PS.: Lass dich gefälligst impfen, falls noch nicht geschehen!

PPS.: Weitere Anfragen zum Thema Saarland-Modell und LucaApp sind noch in der Schwebe. Die Regierung redet da nicht gerne darüber. Vielleicht werde ich noch mal berichten …

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Written by Achim Domma

Weltverbesserer, naiver Idealist, Softwarearchitekt

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